Der lange Atem der Denunziation: Emil Cioran und die Securitate

28.04.2010 ·  Ein halbes Jahrhundert lang haben rumänische Geheimdienste den Philosophen und Schriftsteller Emil Cioran in seinem Pariser Exil bespitzelt. Eine Studie deckt überraschende Details über den einstigen Hitler-Bewunderer auf.

Von JOSEPH CROITORU — Frankfurter Allgemeine

In Rumänien stürzt man sich nach wie vor begierig auf alles, was die Machenschaften der einstigen kommunistischen Staatssicherheit transparenter macht. Erst recht, wenn es mit rumänischen Kulturgrößen wie dem Philosophen Emil Cioran (1911 bis 1995) zu tun hat. Obgleich sie noch nicht einmal erschienen ist, sorgt eine Studie, die sich mit den Securitate-Akten über Cioran befasst und demnächst in dem angesehenen rumänischen Verlag Polirom veröffentlicht wird, schon seit Tagen im Land für Schlagzeilen. Ihr Verfasser, der rumänische Historiker Stelian Tanase, soll mehrere Jahre Forschungsarbeit in das Projekt investiert und dafür die Archive des rumänischen Geheimdienstes durchforstet haben.

© CINETEXT BILDARCHIV
Hitler (2.v.r.) empfing 1943 den Staatsführer Marschall Ion Antonescu (l.). Dieser hatte zwei Jahre zuvor den antisemitischen Cioran observieren lassen

Dass Cioran, der schon 1937 nach Paris emigrierte und im Winter 1940/41 sein Heimatland zum letzten Mal besuchte, als Sympathisant der faschistischen rumänischen Eisernen Garde später von den Kommunisten in Frankreich beobachtet wurde, überrascht wenig. Dass aber auch schon das Antonescu-Regime in den Jahren 1941 und 1942 den antisemitischen Hitler-Bewunderer Cioran observierte, ist neu. Offenbar hing dies mit seinem Posten als rumänischer Kulturattaché zusammen, den er unter dem Vichy-Regime im Jahr 1941 für einige Monate innehatte, aber bald verlor, weil ihn seine politischen Sympathien der rumänischen Regierung suspekt gemacht hatten – Staatschef Antonescu war zu jener Zeit damit beschäftigt, die Eiserne Garde auszuschalten.

Angst vor dem literarischen Ende

Seine faschistisch angehauchte Vergangenheit, die er noch Jahrzehnte nachher verschwieg, machte den rumänischen Schriftsteller für den Geheimdienst des späteren, kommunistischen Rumänien erpressbar. Die Securitate, die zahlreiche rumänische Exilanten bespitzelte und auch bedrohte, hatte den Auftrag, antikommunistische Agitation seitens der Exilgemeinde um jeden Preis zu verhindern. So geriet auch Cioran, der trotz seiner relativen Zurückgezogenheit in Paris eine bekannte öffentliche Person war, in ihr Visier. 1954, nachdem in den Jahren zuvor seine Familienangehörigen in der Heimat schweren Verfolgungen ausgesetzt gewesen waren, legte die Hermannstädter Geheimdienstbehörde eine Akte unter dem Decknamen „Ciobanu“ über ihn an. Seit diesem Zeitpunkt musste Cioran, zumal sein Name in einem großen Schauprozess gegen rumänische Intellektuelle 1960 wiederholt auftauchte, damit rechnen, dass die Kommunisten seine früheren politischen Neigungen publik machen würden, wodurch seine literarische Karriere im Nachkriegsfrankreich schnell beendet worden wäre.

Dass solche Drohungen ernst gemeint waren, demonstrierte die Staatssicherheit noch im selben Jahr, als sie die faschistischen Jugendsünden des sich unkooperativ zeigenden rumänischen Exilschriftstellers Vintila Horia der französischen Presse zuspielte. Horia musste auf den ihm kurz zuvor zugesprochenen Prix Goncourt verzichten, der Preis wurde nie an ihn verliehen, sein Ruhm als Literat war in Frankreich dahin. Und auch Cioran mied noch Jahre danach wohlweislich jeden Kontakt mit ihm.

Mit Codenamen zum Zielobjekt

1965 wurde der Philosoph als noch größeres Sicherheitsrisiko eingestuft und war von nun an Ziel der berüchtigten „persönlichen Überwachung“. Zahlreiche Informanten meldeten der Securitate seine Aktivitäten, jeder einzelne seiner nach Rumänien geschickten Briefe wurde geöffnet, sämtliche seiner dort eingehenden Telefonate abgehört. Mit der Annäherung Rumäniens an Frankreich Ende der sechziger Jahre trat eine Wende ein, Ciorans mittlerweile unter dem Namen „Chiru“ geführte Akte war erst einmal stillgelegt. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurde er jedoch erneut zum Zielobjekt des rumänischen Geheimdienstes.

Jetzt versuchten die kommunistischen Schergen Ciorans schon früher schwer betroffenen Bruder Aurel – er hatte in der Nachkriegszeit sieben Jahre im Gefängnis zugebracht – für ihre Zwecke einzuspannen. Er sollte Emil zu einer Reise nach Rumänien oder gar zur Rückkehr bewegen – dies wäre für die Kommunisten ein propagandistischer Coup gewesen, der jedoch nicht gelang. Offenbar als Teil eines Tauschgeschäfts erhielt Aurel 1981 die Erlaubnis, seinen Bruder in Paris zu besuchen; wohl unter der Auflage, nach seiner Rückkehr dem Geheimdienst Bericht zu erstatten. Der zuständige Offizier blieb misstrauisch: „Durch weitere Informanten und Abhörtechnik zu verifizieren“, vermerkte er lakonisch in der neuerlich umbenannten Geheimdienstakte Emil Ciorans, die nun den Codenamen „ENE“ trug.

Empörung über kommunistische Umsiedlungspolitik

Die darin enthaltenen Unterlagen aus den achtziger Jahren zeugen von einem Cioran, der wohl aufgrund der sich häufenden Übergriffe der Securisten auf Exilrumänen noch vorsichtiger geworden war. Selbst zu seinen engsten Vertrauten in Rumänien pflegte er nur noch losen Kontakt. Umso mehr musste die Securitate jetzt auf ihre Spitzel vertrauen, die häufig als Diplomaten oder Journalisten getarnt waren. Einer der eifrigsten unter ihnen lieferte noch im November 1988 einen zehnseitigen Bericht über seine Begegnung mit dem Philosophen. Ausgangspunkt des Gesprächs war Ciorans Empörung über die Folgen der aggressiven kommunistischen Umsiedlungspolitik.

Der Agent brüstete sich indes damit, seinen Gesprächspartner schließlich doch vom Nutzen dieser Maßnahme für die Modernisierung des Landes überzeugt zu haben. Sogar der Behauptung, die westliche Presse habe sich gegen Rumänien verschworen, habe Cioran dann zugestimmt und ein Beispiel dafür genannt. Der im Zusammenhang mit der vermeintlichen antirumänischen Verschwörung von dem Philosophen nun angeschlagene antisemitische Ton kam bei dem Denunzianten wohl auch vor allem deshalb gut an, weil er sich jetzt als überzeugter Antisemit zu erkennen geben konnte.

Ein zu positives Bild von Rumänien

Cioran berichtete ihm nämlich von dem Fall einer amerikanischen Journalistin ungarisch-jüdischer Herkunft, deren Recherchen zu Rumäniens Judenpolitik im Zweiten Weltkrieg nicht zu dem von ihr erwarteten Ergebnis geführt hätten. Weder hätten sich Hinweise auf angeblich schon damals unter den Rumänen verbreitete Vernichtungsgedanken gefunden, noch hätten ihre Nachforschungen die offiziellen Opferzahlen von mehreren hunderttausend ermordeten rumänischen Juden bestätigen können. Die Zeitschrift habe ihren Bericht deshalb nicht drucken wollen, weil er ein zu positives Bild von Rumänien vermittelt hätte: „Es war nicht einmal vom kommunistischen Rumänien die Rede“, soll Cioran aufgebracht bemerkt haben, „sondern von Rumänien im Allgemeinen, also vom rumänischen Volk!“

Daraufhin zeigte Ciorans Gegenüber seine antijüdische Gesinnung noch offener. Der Agent lamentierte über die viel zu große Zahl jener Rentenempfänger im Land, die von den „imaginären Verfolgungen“ während des Krieges noch immer profitierten. Nicht die lächerlich geringen Rentenzahlungen, erwiderte Cioran, seien das Problem, das die Rumänen bekämpfen sollten. Dass er hier wohl den Vorwurf meinte, Rumänien sei mitschuldig an der Judenvernichtung, versteht sich erst aus dem Zusammenhang. Denn mittlerweile schien es sich um ein Gespräch zwischen zwei Gleichgesinnten zu handeln, zumal der Informant Ciorans Äußerungen in seinem Bericht nicht unkommentiert ließ. Er hege den Verdacht, schrieb er, es sei Cioran selbst gewesen, der besagte Journalistin zu den Recherchen angestiftet und ihr suggeriert habe, dass die hohen Opferzahlen eine reine Erfindung seien.

Distanz zu früheren judenfeindlichen Äußerungen

Wo in solchen Informantenberichten die Grenze zwischen Fiktion und Wahrheit verläuft, wird kaum auszumachen sein. Aus der Forschung ist indes bekannt, dass rumänische Geheimdienstspitzel nicht selten in ihren Berichten ideologische Bekehrungserfolge vortäuschten. Trotz dieser Problematik werfen die erwähnten Bezugnahmen auf den Holocaust in Rumänien nicht nur ein Licht auf die Verbreitung antijüdischer Einstellungen in Securitate-Kreisen. Sie könnten auch die seit einigen Jahren schwelende Debatte über Ciorans Antisemitismus wieder anheizen, zumal der Philosoph gerade Ende der achtziger Jahre sehr bemüht war, sich von seinen früheren judenfeindlichen Äußerungen öffentlich zu distanzieren.

Eine erneute Diskussion müsste auch dem Umstand Rechnung tragen, dass die rumänische Akademie der Wissenschaften im vergangenen November den Philosophen – neben dem rumänischen Theaterautor Eugène Ionescu – postum zu ihrem Ehrenmitglied erklärte. Tanases Studie birgt indes noch weitere neue Erkenntnisse. So steht jetzt fest, dass Cioran auch nach dem Sturz des Ceausescu-Regimes noch fast ein halbes Jahr lang in den Augen der Staatssicherheit als Gefahr galt. Erst am 5. Mai 1990 schloss der zuständige Offizier M. Vasiliu die Akte mit dem Vermerk, an dem mittlerweile 79 Jahre alten „ENE“ bestehe kein „operatives Interesse“ mehr.

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